Achtsamkeit und Meditation

Meditation ist das klassische Mittel zur Entwicklung von Achtsamkeit, das auch von der heutigen kognitiven Verhaltenstherapie adoptiert wurde

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Die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (engl.: mindfulness-based cognitive therapy, MBCT) ist das Ergebnis einer modernen Entwicklung in der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Die Wirksamkeit von MBCT ist nachgewiesen bei Depressionen und bei generalisierten Angststörungen. Ihre Anwendung bei anderen Störungen wird weiter erforscht. Das Hauptelement von MBCT sind die Meditationsübungen.

Jede Form von Meditation schließt mindestens zwei Komponenten ein: Sammlung der Aufmerksamkeit (Konzentration) und Achtsamkeit. In der für therapeutische Zwecke praktizierten Meditation spielt Achtsamkeit eine wesentlich wichtigere Rolle als Konzentration. Es gibt zwei Gründe dafür:

  1. Tiefere Konzentrationsstufen sind schwer zu erreichen; die dafür nötigen Aufwand und Talent sind mit denjenigen vergleichbar, die für den Erwerb von professionellen musikalischen oder sportlichen Fähigkeiten verlangt werden.
  2. Es gibt kaum klinische Studien, die eine langfristige heilende Wirkung der konzentrativen Meditation demonstrieren; es gibt allerdings zahlreiche Forschungsergebnisse, die einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Praxis der Achtsamkeitsmeditation und verschiedenen heilsamen Veränderungen nachweisen.

Die konzentrativen Praktiken können für viele Menschen sehr attraktiv werden (angenommen, dass sie imstande sind diese zu einem gewissen, minimalen Grad zu meistern), weil die Effekte davon unmittelbar und sehr angenehm sein können. Zustände intensiverer meditativer Sammlung sind durch ein Nachlassen oder sogar Verschwinden jeglicher Angst und Unruhe gekennzeichnet; die erreichte Ruhe und Klarheit des Geistes können zur Erfahrung immensen Wohlempfindens und — bei noch tieferer Konzentration — sogar zur Ekstase führen. Diese Zustände sind allerdings vergänglich. Eine Abhängigkeit von ihnen kann zusätzliche Probleme wie Enttäuschung und Depression wegen des Verlustes der Sammlung verursachen.

Achtsamkeit fühlt sich die meiste Zeit nicht unbedingt angenehm an. Befriedigung kommt erst durch Einsicht, die das Ergebnis eines — oft langen, manchmal schmerzlichen — heilenden Prozesses ist.

Beispiel:   Eine an rezidivierenden Depression leidende Frau, die als Mädchen von engen Verwandten sexuell missbraucht wurde, nimmt an einem achtwöchigen MBCT-Kurs teil und fängt an regelmäßig zu meditieren. Irgendwann kommt die nächste depressive Episode. Sie kämpft tapfer und schafft es, in ihrem sehr verantwortungsvollen Beruf weiter zu funktionieren. Das kostet sie allerdings immer mehr Kraft, sie verzweifelt immer mehr und befürchtet jeden Morgen, dass an diesem Tag endlich der „totale“ Zusammenbruch kommt. In ihrer Verzweiflung fängt sie an zu denken, dass auch die Meditation sinnlos ist und ihr nicht mehr helfen kann. Trotzdem meditiert sie regelmäßig weiter. Eines Tages, während der Meditation kommt die Einsicht, dass sie keine Schuld daran hat, dass sie als Mädchen sexuell missbraucht wurde. Natürlich hatte sie das schon immer gewusst und war davon rational überzeugt. Aber tief in ihr drin war anscheinend eine unbewusste, selbst­zer­stö­re­rische Überzeugung verwurzelt, dass sie schuldig, böse, verdammt oder Ähnliches ist. Die Einsicht, die sie während der Meditation erlebte, war eine direkte, unmittelbare Erfahrung der Wahrheit über ihr altes Trauma. Deswegen hatte sie einen langfristigen heilenden Effekt. (Nach dieser Erfahrung ging es langsam aber stetig bergauf und allmählich erholte sie sich von der Depression.)

Natürlich ist es überhaupt nicht immer der Fall, dass sich die Effekte der Achtsamkeitsmeditation in solcher dramatischen Art und Weise offenbaren. Viel öfter entfaltet sich der Heilungsprozess langsam und graduell als Ergebnis unzähliger kleiner Einsichten und positiver Transformationen. In allen Fällen ist es aber für den Therapieerfolg sehr wichtig, dass eine regelmäßige Meditationspraxis gepflegt und Achtsamkeit auch im Alltag mithilfe verschiedener, kleiner Übungen praktiziert wird.

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